Jerichow

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Jerichow

Ein Film von Christian Petzold

Zum Film

Drei Menschen treffen mit schicksalhafter Zufälligkeit aufeinander. Thomas (Benno Fürmann), jung, kräftig, wortkarg, ein ehemaliger Soldat, unehrenhaft aus der Armee entlassen; Ali (Hilmi Sözer), vom Leben schon ein wenig mitgenommen, aber immer noch leutselig, ein türkischer Unternehmer in Deutschland, der mit seinen Imbissbuden reich geworden ist; Laura (Nina Hoss), seine Frau, attraktiv, reserviert, wie jemand, die schon vieles hinter sich hat.

Auf den Landstraßen des deutschen Nordostens, in den Wäldern des weiten, flachen Landes, an den Klippen über dem Meer entfaltet sich das Drama dieser drei Menschen, deren Sehnsüchte sich immer wieder in einem anderen, tieferen Traum brechen. Zwischen Schuld und Freiheit, Kalkül und Leidenschaft liegen Wünsche, deren Erfüllung bald nur noch um den Preis des Verrats möglich scheint.

Jerichow

JERICHOW

Mit Benno Fürmann, Nina Hoss, Hilmi Sözer
Buch und Regie: Christian Petzold
Kamera: Hans Fromm
Montage: Bettina Böhler
Szenenbild: Kade Gruber
Musik: Stefan Will
Produzenten: Florian Koerner von Gustorf, Michael Weber

Eine Produktion der Schramm Film Koerner & Weber in Coproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk

Pressestimmen

Regiestatement

Interview mit Christian Petzold

Wir gehen hinter Benno Fürmann hinein in die Geschichte dieser Dreierkonstellation. Warum haben Sie sich für diesen Anfang entschieden?

Der Thomas, die Figur, die der Benno Fürmann spielt, ist von der ersten Sekunde an vom Nichts umgeben. Das ist im Grunde genommen sein Zustand. Er versucht, so etwas wie Heimatbuilding zu betreiben. Das Haus wieder aufzubauen, einen Ort, eine Adresse zu haben, Friedrich-Engels-Damm 1. Und so muss er im Film am Anfang geschichtslos sein, eher eine Bewegung in eine Geschichte, die andere Leute haben. Dafür brauchten wir eine erzählerische Bewegung, für die wir dann am ersten und am letzten Drehtag eine Steadycam gehabt haben. Das kann man nicht mit Schienen machen … Hinter ihm mit der Kamera am Friedhof lang gehen, man weiß noch nicht, was passiert ist, dann kommt das Auto, wir sehen André Hennicke, und dann springen wir vor den Thomas, die Steadycam verlässt den Film und kommt erst am Ende wieder zurück. Bei den Dreharbeiten habe ich das so gesagt, dass das jetzt die Seufzerbrücke ist, über die er geht. Er geht jetzt in die Bleikammer.

Verstecke spielen in Ihrem Film eine große Rolle, Thomas und Laura verstecken Geld, und selbst Ali versteckt etwas, seine Krankheit.

Diese Verstecke, die sind ja auch kindisch. Der Thomas versteckt das Geld im Bauhaus, in dem er mal mit seiner Mutter gewesen ist als Siebenjähriger, was man auf dem Foto sieht. Und auch die Laura versteckt das Geld, das sie Ali unterschlägt, an einer Stelle, wo Kinder Sachen verstecken. Das war mir wichtig, das sollte durch den Film gehen, dass die alle so etwas Regressives haben. Dass auch die leidenschaftliche Liebesbeziehung der beiden so etwas ist wie … so wie 17jährige, die sich im Kühlhaus schnell einen Kuss stehlen. Dass da so etwas drin steckt, dass die ein Leben verloren haben und es jetzt noch einmal versuchen. Die denken, die kriegen nochmal eine neue Chance. Damit haben die Verstecke, die Geldverstecke, etwas zu tun. Ich verstecke es da, wo ich als Kind schon meine Sachen versteckt habe, denn ich starte nochmal in ein neues Leben und dieses Mal will ich alles richtig machen.

Ist das Verstecken auch so etwas wie ein Vorbehalt dagegen, dass es unwiderruflich um alles geht, ums Leben? Man hat oft das Gefühl, als wollten oder müssten die Figuren in erster Linie sich selbst in Sicherheit bringen, selbst die Leidenschaften wird von diesen anderen Motiven immer durchkreuzt.

Ich fand immer, dass die Liebesgeschichte im Film so eine „postfordistische“ Liebesgeschichte ist, aus einer Zeit, in der Lohnarbeit zerstört ist. Sie erinnert noch an die an die Zeiten von Ossessione oder Cains The Postman always rings twice. Aber im Deutschland des Jahres 2008 gibt es kaum noch richtige Lohnarbeit. Es gibt Dienstleistungsarbeit, und es gibt noch Reste, Ausbeutungsreste, wie den Gurkenflieger, auf dem der Thomas im Film arbeitet. Aber auch das ist am Verschwinden. Die Spreewaldgurken sind jetzt in China angepflanzt worden. Wir werden so eine Form von ausbeuterischer, brutaler Feldarbeit wie bei den Baumwollpflückern von B. Traven in Deutschland nicht mehr sehen. Mich hat interessiert, wie die Leidenschaft, die Liebe, auch die Intrige heute ist, wie man das erzählen kann in Zeiten, wo die Lohnarbeit nicht mehr den Takt vorgibt. Das war ein großes Thema bei uns, als wir mit den Schauspielern die Proben hatten. Die Figuren in Jerichow führen so etwas wie ein kleines Retro-Szenario auf, und das entgleitet ihnen.

In der Tanzszene am Strand ist eine starke Gegenläufigkeit zu spüren, die Dominanz Alis, seine Leutseligkeit und gleichzeitig die Unsicherheit der eigenen Beziehung gegenüber. Wie detailliert geben Sie eine solche Szene im Drehbuch vor?

Es gibt bei Dreharbeiten oft solche Szenen und Tage, vor denen alle Angst haben. Bei uns war das zum Beispiel der 17. Drehtag, die Szene, wo sie im Flur miteinander schlafen. Und der 23. Drehtag, eben dieses Picknick. Die Szene hatte, glaube ich, im Drehbuch nur eine halbe Seite. Ich habe auch keine Interpretation reingeschrieben, was ich sonst oft mache, damit die Schauspieler ahnen worum es geht, die Metapher spüren.

Zwei Tage davor haben wir uns bei mir im Hotelzimmer einen ganzen Abend getroffen und die Szene nochmal geprobt, dieses Mal mit der Musik. Und dem Hilmi Sözer wurde klar, dass diese Musik, diese berühmten türkischen Lieder, dass die wirklich Alis Musik ist. Dass die Musik und das Meer eine direkte Verbindung zu so etwas wie Heimat sein könnten, eine Herkunft. Und diese beiden Deutschen dort machen ihn jetzt zum Griechen, die Laura lacht ja noch über den Scherz. In diesem Moment ist das eine Beleidigung. Sie zerstören eigentlich eine Identität von ihm, die Heimatidentität, die Heimatsehnsucht, die er gerade aufbaut. Und dieses Gefühl ist sogar stärker als seine Eifersucht und hat so viel Tiefe, dass er die beiden in diesen Heimatstrom hineininszenieren möchte. Und er merkt nicht, dass er damit im Grunde genommen seine eigene Tragödie hervorruft.

Die Tragödie in Jerichow ist ungewöhnlich. Indem Sie die Schuldfrage sozusagen herausnehmen, wird die Schuld eigentlich noch gesteigert …

Ich habe lange darüber nachgedacht, wie die Geschichte enden kann. Und ich dachte daran, wie es wäre, wenn Laura und Thomas sogar den verlieren, den sie hätten um Verzeihung bitten können. Die landen im Grunde genommen dort, wovor sie die ganze Zeit Angst haben, nämlich im Niemandsland. Diese ganzen Versuche von Thomas, das ruinöse Haus seiner Mutter wieder aufzubauen, oder von Laura, mit Geld endlich unabhängig zu sein und die Frau zu werden, die sie sich immer gewünscht hat … Das ist für sie jetzt auf ewig ausgeträumt.

Wir haben ziemlich chronologisch gedreht, und die Schlussszene war wirklich am letzten Drehtag dran. Der Ali schickt die beiden weg und schreit ihnen noch hinterher, und dann gehen sie so … wie Verurteilte gehen sie da weg. Und dann hören sie den Motor aufheulen. Und Nina Hoss hat mich gefragt … sie wollte noch ein Wort sagen, wenn sie sich umdreht, so ein Wort, das man in sich selber reinspricht. Ich habe sie gefragt, welches Wort das sein könnte; und sie wollte einfach „Ali“ sagen. Und da wusste ich, dass es das genau ist. Darum geht es. In dem Moment war mir klar, dass die Darsteller genau wissen, um was für eine Schuld es hier geht. Und dieses Wort haben wir dann auch ans Ende des Films gelegt.

Downloads

Presseheft: PH_Jerichow_final.pdf

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