Zum Film
Zwei Stunden am Flughafen Paris Orly. Eine junge Frau (Natacha Régnier) auf dem Weg nach Hause zu ihrem Mann, verliebt sich in einen Fremden (Bruno Todeschini). Eine Mutter (Mireille Perrier) begleitet ihren Sohn (Emile Berling) zur Beerdigung des Vaters. Ein junges Paar (Jirka Zett, Lina Falkner) auf seiner ersten großen Reise verliert sich aus den Augen. Eine Frau (Maren Eggert) wagt erst in der Anonymität der Öffentlichkeit, den Abschiedsbrief ihres Mannes (Josse De Pauw) zu lesen. Sie alle warten auf ihren Flug.
ORLY
Mit Natacha Régnier, Bruno Todeschini, Mireille Perrier, Emile Berling, Jirka Zett, Lina Phyllis Falkner, Maren Eggert, Josse de Pauw
Buch und Regie: Angela Schanelec, Kamera: Reinhold Vorschneider, Ton: Andreas Mücke-Niesytka, Schnitt: Mathilde Bonnefoy, Mischung: Matthias Lempert, Sounddesign: Frank Kruse, Herstellungsleitung: Erwin M. Schmidt, Redaktion: Inge Classen (ZDF/3sat), Koproduzenten: Cèline Magis, Christophe Delsaux, Produzenten: Gian-Piero Ringel, Angela Schanelec
Eine NACHMITTAGFILM und RINGEL FILM Produktion
in Koproduktion mit LA VIE EST BELLE und ZDF/3sat
Gefördert mit Mitteln von BKM, MEDIENBOARD BERLIN-BRANDENBURG, FFA, CNC und CINÉCINÉMA
Verleih gefördert mit Mitteln von BKM, MEDIENBOARD BERLIN-BRANDENBURG, FFA
Pressestimmen
»Ein einzigartiger, schöner Film« L’Humanité
»Schöner kann man kaum auf Reisen gehen. Dass wir nur Passagiere, Passanten sind im Leben der anderen: Man ahnt es zuweilen. Angela Schanelec hat den Film zu diesem Gefühl gedreht.« Tagesspiegel
»Muss man sehen!« Zitty
»Mit überraschender Leichtigkeit, menschlicher Wärme und sanfter Ironie liest Angela Schanelecs Film der Anonymität des Transit- und Warteraums Orly zarte und bewegende Lebensgeschichten ab. Es sind poetische Momente des individuellen Innehaltens in einer davon unberührten dokumentarisch erfassten Welt der flüchtigen Bewegungen.«
Jurybegründung Deutscher Filmkunstpreis
»Angela Schanelec hat hochgradig professionelle Schauspieler unter die Reisenden gesetzt und ihnen Dialoge geschrieben, die wundersam flackern zwischen Banalität und Magie. Immer wieder nimmt einer das Thema des anderen wieder auf, variiert es, spiegelt es. Schanelec komponiert ihren Film wie eine vielstimmige, langsame Fuge.« Berliner Zeitung
»Als hätte Angela Schanelec die Bemerkung Jacques Tatis aufgegriffen, dass er sich an Flughäfen niemals langweile, um sie in einer melancholischeren Melodie zum Klingen zu bringen, zwischen „Nie-wieder“ und „Noch-nicht“.« Libération
»Ein Flughafen ist ein sonderbarer Ort. Schon immer hat das Kino hier große Momente gehabt. Dies ist einer davon. (...) Angela Schanelec ist eine genaue Beobachterin. Ihre Film-Welt entsteht aus Indizien, und nie wird vorgegeben, dass es etwas anderes ist. Keine Metaphern, keine Symbole. Momente, die miteinander etwas zu tun haben, aber deswegen noch lange nicht füreinander bestimmt sind. Eine Kunst mitten im Leben, und nie mit ihm zu verwechseln. Für diese Weise der Beobachtung ist ein Flughafen ein idealer Zeit-Raum, so ideal, dass sich die Regisseurin diesmal Entspanntheit, Zärtlichkeit, Ironie leisten kann. Doch keine ihrer Geschichten ist ohne tiefe Traurigkeit. Denn bei allem Neubeginn ist hier noch einmal mit größter Intensität da, was man dafür für immer verlieren muss. (...) Solche Filme brauchen nicht nur Preise und euphorische Kritiken. Solche Filme brauchen Zuschauer.« taz
»Orly zeigt, wie man aus einem Flughafen ein Filmpoem zaubert.« epd Film
»Angela Schanelec hat gedreht, ohne den laufenden Betrieb in Orly zu unterbrechen. Die Fiktion geht in den Alltag des Flughafens ein. Und die Präsenz dieser Körper und Gesichter aus der Wirklichkeit, die nicht den starren Regeln von mit Statisten gedrehten Massenszenen gehorchen, eröffnet ganz ungeahnte Perspektiven, verändert die Möglichkeiten von Fiktion. Das Leben bleibt wie in der Schwebe, der Flughafen gleicht einem geschlossenen Universum, aus dem sich nichts zwangsläufig ergibt, in dem alles möglich ist.« Le Monde
»Es ist, als dürften die Geschichten, die außerhalb des Flughafens in Taxis und Wohnungen gepresst sind, hier endlich frei herumlaufen, als wäre die Wahrheit im Transit leichter auszusprechen. Von Orly aus möchte man im deutschen Film weiterfliegen.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
»Es ist schlicht und einfach fantastisch, wie Schanelec und Vorschneider diese Bilder gelingen. Der Gestus jeder einzelnen Einstellung bleibt souverän. Den kleinen Erzählungen, die sich entfalten, sobald die Protagonisten identifiziert sind, kommen die Passanten nicht in die Quere – im Gegenteil, sie entfalten sich organisch aus dem Strom der Passanten heraus. Diese Bilder fügen dem Kino Schanelecs eine Möglichkeitsdimension hinzu. Auf ganz grundsätzliche Weise öffnet sich der Film hin auf die Welt, in der er spielt.« Perlentaucher
»Mit beeindruckender Stilsicherheit, poetisch, unaufdringlich, voller Anteilnahme für die Figuren.« film-dienst
Regiestatement
JEDER EINZELNE MOMENT
Ein Gespräch mit Angela Schanelec
WIE IST DIE IDEE ZU »ORLY« ENTSTANDEN?
Die Idee hatte ich, als ich mit Reinhold Vorschneider, dem Kameramann, in Orly war, und wir auf unseren Flug gewartet haben. Wir hatten nichts zu tun, wir saßen da, und mir fiel auf, wie schön es ist, den Leuten zuzugucken. Und wie schön dieser Raum ist. Dass sich die Leute da bewegen wie auf einer Bühne… Es war eine sehr schöne, entspannte Atmosphäre. Und gleichzeitig war klar, dass der Raum, so wie er ist – dass man Lust hat, den zu fotografieren. Dann habe ich angefangen darüber nachzudenken, was man hier drehen könnte, was das für Geschichten sein könnten, die die Leute da bewegen oder über die sich die Leute unterhalten.
ES GING ALSO AM ANFANG UM GENAU DIESEN FLUGHAFEN PARIS-ORLY?
Ja. Der Ausgangspunkt war speziell dieses Flughafengebäude. Später, beim Schreiben, war mir klar, dass es sein könnte, dass wir gar keine Drehgenehmigung für Orly kriegen. Aber thematisch war mir das dann doch so wichtig, dass ich es im Notfall woanders versucht hätte. Amsterdam oder Zürich hätte ich mir vorstellen können, weil beide so etwas Grafisches, sehr Klares haben. München zum Beispiel hätte ich mir nicht vorstellen können. Weil man dort den Raum als Ganzes nicht wahrnehmen kann. Das ist in Orly anders. Der Raum umgibt die Leute da wie eine Hülle, er fügt sie zusammen. Man hat immer ein Gefühl für den Raum.
SIE HABEN WÄHREND DES LAUFENDEN FLUGHAFENBETRIEBS GEDREHT. WAR DAS VON ANFANG AN SO GEPLANT?
Ja, das war mir von Anfang an klar. Mein Interesse kam ja nicht nur von dem Ort, sondern auch von den Leuten in dem Ort. Das setzt sich eben aus bestimmten Leuten zusammen, da gibt es bestimmte Flüge, die eben von Orly starten und nicht von Charles-de-Gaulle, es gibt Check-Ins nur für Flüge nach Nordafrika zum Beispiel. Und es wäre für mich absolut undenkbar gewesen – wenn es theoretisch möglich gewesen wäre – Orly für vier Wochen zu schließen und mit Statisten zu bevölkern. Das war ja eben genau nicht mein Interesse. Sondern ich habe mich gefragt, ob es geht, dass die Figuren, die ich schreibe, genauso sein können wie die anderen, genauso wirklich oder genau so wahr in dem Moment, wo das stattfindet. Das nebeneinander zu sehen, in einem Bild, das war das, was ich wollte.
WIE HABEN DIE SCHAUSPIELER DAS ERLEBT, SICH IN DER SPIELSITUATION GEWISSERMASSEN DER WIRKLICHKEIT AUSZUSETZEN?
Ich hatte den Eindruck, das führte zu einer Entspannung. Wir hatten ja in den Wochen vorher probiert, in einem leeren Raum, mit den Texten, die feststanden, da war ja nichts improvisiert. Es war klar, worum es ging. Und als wir dann in Orly waren, hatte ich das Gefühl, die Schauspieler geben die Ambition auf, unbedingt etwas Bestimmtes herzustellen, weil das in dem Rahmen gar nicht geht. Du kannst in dem Rahmen nur „normal“ sein, auf eine gewisse Weise… Die saßen da, die Kameras waren aufgebaut, und ich habe gewartet, bis ich den Eindruck hatte, dass jetzt alles so ist, um drehen zu können. Dann habe ich ein kleines Zeichen gegeben, dass die Kamera läuft, und sie wussten, ab jetzt können sie anfangen. Es gab einen fließenden Übergang von einem zum anderen, vom Leben zum Spiel, wenn man so will, vom Nicht-Drehen zum Drehen.
MUSSTEN DIE SCHAUSPIELER IHR SPIEL IM FLUGHAFENBETRIEB „VERSTECKEN“, UM NICHT AUFZUFALLEN?
Nein. Es war klar, dass sie so sein sollten wie die anderen um sie herum. Sie sollten so „gut“ sein wie die anderen. Ich erinnere mich, dass ich einmal mit Lina Falkner zur Vorbereitung zum Flughafen Tegel gefahren bin, sie sollte sich nur hinsetzen und ein Buch lesen. Zufälligerweise saß drei Meter weiter eine junge Frau, die hat auch ein Buch gelesen. Ich habe das gesehen und gedacht: Das gibt es nicht! Da gibt es einen Unterschied, was ist der Unterschied? Die lesen doch beide nur. Und dann habe ich Lina gesagt: Schau dir diese Frau an. Du musst lesen, nichts anderes … Das war lustig. Nein, so eine Frage von Verstecken gab es nicht. Es gab nur den Moment von Konzentration, von Sich-Verlassen-auf-sich, von Sich-Vergessen.
WIE ENG VERZAHNT IST DIE IDEE VON »ORLY« MIT DER VISUELLEN UMSETZUNG, MIT DEM UNGEWÖHNLICH INTENSIVEN EINSATZ LANGER BRENNWEITEN?
Der Kameramann Reinhold Vorschneider war ja mit dabei, als die Idee entstand. Und ab dem Moment, wo das Drehbuch fertig ist, ist er sowieso immer dabei. Bei »Orly« war das extrem wichtig. Der Film war für uns ein Wagnis, weil wir nicht wussten, inwieweit er unter diesen bestimmten Umständen überhaupt die Bilder machen könnte, die er machen will, und inwieweit ich da inszenieren könnte. Dass Reinhold trotzdem sofort Lust darauf hatte, war extrem wichtig.
So zu fokussieren, wie wir es in »Orly« gemacht haben, hat sich ganz natürlich durch die Drehsituation ergeben und entsprach dem, was ich mir schon beim Schreiben vorgestellt hatte. Durch die Tiefenschärfe und die Abbildungsverhältnisse, die sich durch die langen Brennweiten ergeben, begreift man ja überhaupt erst, worum es geht. Genau so ist es im Ton. Wir hören die Schauspieler sehr nah, auch wenn sie weit entfernt sind – obwohl wir die anderen drum herum nicht so hören, dass wir sie verstehen könnten. Beim Drehen ging es dann immer darum, das richtige Verhältnis zu finden: die Schauspieler nicht zuviel und nicht zuwenig zu fokussieren, also die Leute um sie herum nicht zur reinen Statisterie zu degradieren, sie wahrnehmbar zu halten, und die Schauspieler trotzdem nicht zu verlieren.
WIE SIND DIE VERSCHIEDENEN GESCHICHTEN ENTSTANDEN. LOSGELÖST VONEINANDER ODER BEREITS IM HINBLICK AUF MÖGLICHE VERKNÜPFUNGEN?
Ich habe die Geschichten hintereinander geschrieben, in der Reihenfolge, wie sie jetzt geschnitten sind. In der ersten Fassung waren diese Geschichten völlig losgelöst voneinander, es gab überhaupt keine Verknüpfungspunkte, weil ich Sorge hatte, dass mir das verloren gehen könnte, worum es mir ging: dass all die Flüchtigkeit und Zufälligkeit nicht mehr existieren würde, weil man spüren würde, aha, so ist die Konstruktion ... Als das Buch fertig war, habe ich gemerkt, dass es eigentlich schön ist, wenn es ein paar Stränge gibt, die sich kreuzen. Dann hat die erste Geschichte die zweite beeinflusst, und die ersten beiden die dritte.
In der ersten Geschichte begegnen sich zwei Leute, was ungewöhnlich genug ist – ich weiß nicht, wie viele Menschen am Flughafen schon mal jemanden wirklich kennengelernt haben. Dann war klar, dass sich das zweite Paar, also Mutter und Sohn, schon kennt. Und bei der dritten Geschichte, nachdem soviel geredet wurde, war mir klar, dass es irgendwie schöner ist, zwei Menschen einfach zuzugucken, die nicht wissen, worüber sie reden sollen. Letztendlich ist die Geschichte des jungen Paares die, die mich filmisch fast am meisten interessiert hat: Wie macht man das, wenn nichts da ist? Wenn zwei Leute anfangen, sich nichts mehr zu sagen? So ging die Entwicklung dann zu der Frau, die ganz allein da sitzt und nur noch den Brief liest. Und dann sieht man sie auch gar nicht mehr, sondern man hört nur noch den Text. Das war die Entwicklung, die sich irgendwann abgezeichnet hat, zu dieser reinen Sprache zu kommen am Ende.
STELLTE DIE AN SICH UNDRAMATISCHE SITUATION DES WARTENS EINE BESONDERE HERAUSFORDERUNG FÜR DIE DRAMATURGIE DAR?
Ja, natürlich … aber nicht in dem Sinne, dass ich dachte, das muss ich jetzt ausgleichen. Es war klar: die warten. Und es war klar, dass es mir nicht um das Drama geht, auch nicht am Ende. Sondern dass es mir um andere Dinge geht, um bestimmte Situationen, in denen Leute anfangen zu reden oder zu schweigen oder etwas zu tun, aus der Situation heraus, in der sie sich befinden. Da zu sitzen und eine Pause zu haben, man muss vorher da sein, aber man kann dann nirgends hin … das ist quasi geschenkte Zeit.
AM ENDE DES FILMS STEHT DIE RÄUMUNG DES FLUGHAFENS, DIE GANZ OHNE PANIK AUSKOMMT.
Worum es mir ging, war, den Flughafen zu leeren. Ich dachte, dass es schön ist, den Raum, den wir die ganze Zeit mit Menschen gesehen haben, leer zu sehen. Es ging mir nie um das dramatische Potential einer Evakuierung, Panik, rennende Menschen, sondern eher um die Selbstverständlichkeit, mit der die Leute einfach darauf reagieren. Und dann hat man plötzlich diesen leeren Raum.
DIE EVAKUIERUNG HAT FAST ETWAS VERBINDENDES ...
Das war ja etwas, was mich von Anfang an interessiert hat: Dass ich da das Gefühl hatte, irgendwie gehören die Leute an diesem Flughafen zusammen. Und das wird in dem Moment, wenn die alle rausgeschickt werden, spürbarer, auch für die einzelnen Leute. Das kennt man ja, dass es in dem Moment, wo irgend etwas passiert, nach dem sich dann alle richten müssen, plötzlich eine Verbindung zwischen den Leuten gibt. Die Evakuierung war die einzige Szene, für die wir Statisten hatten, einfach um sicherzugehen, dass genügend Leute da sind, und die Statisten haben wir unter die Passagiere gemischt. D.h. die Reaktion, die man wahrnimmt, war größtenteils die Reaktion der Passagiere, die weggeschickt wurden. Das ist ja ein ganz routinierter Vorgang, sowohl von der Polizei und dem Personal als auch von den Leuten. Sie gehen eben. Und zuschauen, wie so ein großer Raum dann langsam leer wird, und man dann noch deutlicher sieht, wo man ist … Das ist ja eben nicht wie Fotografie. Es ging ja nicht darum, den Raum einmal leer zu fotografieren. Die Wirkung des leeren Raums, die entsteht ja nur dadurch, dass man ihn vorher die ganze Zeit voll gesehen hat. Ich finde, man sieht auch, wenn der Raum dann endlich leer ist, ja, so aufregend ist er jetzt auch nicht … Die Architektur ist schön, natürlich. Aber das Schöne an ihr ist, dass sie mit den Menschen zu tun hat, und dass sie für die auch gebaut ist.
WAREN DIE EVAKUIERUNG UND DER TEXT AM ENDE DES FILMS EIN AUSGANGSPUNKT BEIM SCHREIBEN?
Nein, das hat sich erst an einem bestimmten Punkt entwickelt. Ich schreibe das Drehbuch nicht an einem Strang entlang, der mir vorher klar ist. Es gibt vielleicht manchmal eine Vorstellung davon, was am Ende sein könnte, aber wenn ich da nicht hinkomme, komme ich halt nicht hin. Weil mich jeder einzelne Schritt interessiert, und nicht das Ziel. Es war ja schnell klar, dass es im Film sehr viele Situationen geben würde, in denen Leute einfach dasitzen und reden. Und die Entwicklung dahin, dass man am Ende nur noch Sprache hat, gelesene Sprache aus dem Off... Wie ich das machen würde, was mir die Chance dazu geben würde – das war dann eben die Evakuierung. Und dieser Vorgang, der war für mich nur mit dem Text zusammen denkbar. Die Evakuierung ohne den Text hätte für mich überhaupt keinen Sinn gemacht. Und der Text ohne die Evakuierung irgendwie auch nicht ... Ich fand es wichtig, dass da zwei gegenläufige Vorgänge, die nicht zusammenpassen, zusammenkommen und gleichzeitig wahrnehmbar sind, sichtbar und hörbar.
SIE HABEN AUF DEUTSCH GESCHRIEBEN, DIE FRANZÖSISCHEN DIALOGE WURDEN ÜBERSETZT. WELCHEN EINFLUSS HAT DIE SPRACHE IN »ORLY«?
Das hat eine große Bedeutung. Ich glaube, mein Bedürfnis, immer wieder in Frankreich zu reden, hat sehr mit der Sprache zu tun, und zwar damit, dass es in Frankreich einen ganz anderen Umgang mit Sprache gibt. Die Franzosen reden einfach lieber. Es ist viel selbstverständlicher zu reden, über alles und über nichts. Das deutsche Drehbuch zum Beispiel war knapper. Inhaltlich war das total identisch, vieles ist einfach nur übersetzt, aber einiges ist dann doch anders. Ich schreibe sehr lange an den Dialogen, dass sie mir gefallen und dass sie Sinn machen, und oft entsteht für mich dann etwas durch Knappheit. Das ist im Französischen gar nicht so. Für die Knappheit kann man oft nichts finden, das ist dann oft ausufernder, es gibt eine andere Lust an der Sprache, eine andere Lust am Reden.
LÄSST SICH DIE TRANSITSITUATION IN »ORLY« ALS METAPHER LESEN, ALS BESCHREIBUNG EINES ALLGEMEINEN ZUSTANDS ZWISCHEN NICHT-MEHR UND NOCH-NICHT?
Es gibt für mich nie solche Überlegungen. Es gibt eigentlich immer nur die konkrete Arbeit an der Sache. Also erstmal ein Bedürfnis, das durch etwas ausgelöst wird, im Fall von »Orly« der Raum, mit den Menschen darin – und dann die konkrete Arbeit daran. Über alles andere denke ich nicht nach. Weil ich glaube, dass diese Situationen oder diese Art Filme, die ich mache, nur durch das Konkrete gewinnen. Diese Filme bestehen ja aus jedem einzelnen Moment, der auf einen anderen Moment folgt. Und es gibt eine Lust und ein Vergnügen, jeden einzelnen Moment wahrzunehmen und nicht zu wissen, was als nächstes passiert ... Wenn sich vor diese Beobachtungen der einzelnen Vorgänge so eine Aussage schieben würde, wozu sollte das gut sein?